Jetzt fragt ihr euch sicher, was es mit besagtem “Netzgemüse” auf sich hat und vermutlich werden auch nicht alle meine Leser mit dem Namen Gunter Dueck etwas anfangen können. Kein Problem! Ich will es euch gerne erklären!
Netzgemüse lautet der Titel eines Buches, das ich begeistert gelesen habe und das mich sehr nachdenklich zurückgelassen hat. Es beschäftigt sich – so lautet der Untertitel – mit der “Aufzucht und Pflege der Generation Internet”. Ich hatte das große Glück, das Autorenehepaar Tanja und Johnny Haeusler bei einem Lesungsvortrag in Solingen kennenzulernen. Die beiden haben einen nachhaltigen Eindruck bei mir hinterlassen. Das lag übrigens nicht (nur) daran, dass sie den mit dem Grimme-Online-Award ausgezeichneten Blog Spreeblick betreiben und zum Gründungsteam der re:publica (hier schlage ich dann später die Brücke zu Gunter Dueck) gehören. Nein, sie haben mich als Eltern beeindruckt. Denn auch sie pflegen Netzgemüse in Form von zwei Söhnen, die ebenso wie meine Söhne ausgangs des letzten Jahrhunderts bzw. Anfang des 21. Jahrhunderts das Licht der Welt erblickten.
Im Volksmund würde man unsere Kinder vermutlich “Digital Natives” nennen. Sie sind die erste Generation, die die von uns noch altmodisch als “neue” Medien bezeichnete digitale Kommunikation quasi mit der Muttermilch aufgesogen hat. Aber obwohl Tanja und Johnny auch zum diesjährigen Veranstaltungsteam der re:publica, einer der wichtigsten europäischen Konferenzen für Online-Medien und digitale Gesellschaft, gehören, sind sie genauso wie alle anderen nach 1980 Geborenen schlicht und ergreifend Digital Immigrants, sicherlich sehr moderne, aber eben keine “Natives”. Und somit schlagen sie sich in der Erziehung des digitalen Nachwuchses eben doch hin und wieder mit denselben Problemen herum wie andere weniger netzorientierte Eltern auch. Dabei ermöglichen ihre sehr aufgeschlossene Sichtweise und ihr gut recherchiertes Insider-Wissen dem Leser eine differenzierte Betrachtung seiner vermutlich sehr ähnlichen Lage. Wir kommen eben aus einer anderen Generation mit anderen Spielregeln, Werten und Ritualen und versuchen nun irgendwie mit unserem uns entgleitenden Nachwuchs zurecht zu kommen. Wir neigen dazu, Onlinezeiten zu streichen, Ballerspiele zu verbieten und soziale Netzwerke zu verteufeln. Und das alles nur, weil wir es “gut” meinen, hat ja bei uns schließlich auch funktioniert. Dabei lassen wir völlig außer Acht, dass wir es mit einer vollkommen anderen Generation zu tun haben.
Deshalb mein großer Dank an Tanja und Johnny Haeusler für ihr Buch, das mir an vielen Stellen die Augen geöffnet hat und in unserem Haus tatsächlich eine neue Ära einläutet, eine Ära des “metakulturellen Diskurs”, womit ich ganz geschmeidig die Überleitung zu Gunter Dueck vollzogen habe. Denn unter dem Titel “Aufruf zum metakulturellen Diskurs” hielt Gunter Dueck eine Session bei der re:publica ab.
In der Beschreibung dazu heißt es:
Die aufkommende Wissensgesellschaft wird in eine neuen Kultur münden, die wir jetzt gestalten sollten. Stattdessen wird jedes Tages-Kleinstdetail wieder und wieder aus verschiedenen alten und neuen Kulturblickwinkeln heraus leidenschaftlich befürwortet oder wutbürgerlich abgelehnt. Frommwunschforderungen werden durch ätzende Mühlen gedreht, Fehler der anderen verachtend shitgestormt. Aus solchen Diskussionen entsteht aber kein Diskurs (eine konstruktive Auseinandersetzung mit dem Ziel eines gemeinsamen Weges). Woran leiden wir? Vielleicht sind wir – jeder für sich – zu sehr Gefangene unserer speziellen Denkkulturen. Diese sollen kurz gezeigt und andiskutiert werden – Aufruf zu einem “Blick aus dem Helikopter”
Vermutlich hat Gunter Dueck bei seinem Auftritt nicht geahnt, dass er gerade mich als Erzieher anspricht, aber wer wird die “aufkommende Wissensgesellschaft” maßgeblich mitgestalten, wenn nicht unsere Kinder? Und sind nicht wir “Gefangene unserer speziellen Denkkulturen”? Es ist an uns, unseren Kindern Freiheiten einzuräumen, den Diskurs mit ihnen zu suchen, ihre Sichtweisen zu ergründen und uns bestenfalls von ihnen die digitale Brille aufsetzen zu lassen.
Die sehenswerte Session von Gunter Dueck findet man in ausgezeichneter Qualität bei YouTube. Jede einzelne Minute hat sich für mich gelohnt und ich kann nur jedem empfehlen, sich einmal den Spiegel von Gunter Dueck vorhalten zu lassen. Vielleicht können wir ja alle an einer etwas empathischeren Welt mitwirken …
Übrigens wird sich unser Diskurs u.a. in Form eines gemeinsam mit meinen Söhnen geführten Blogs niederschlagen. Aber dazu bald mehr …