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Das Prinzip Bücherkinder: junge Testleser in den Verlagen

Beitrag von mir in der Juniausgabe der Zeitschrift Eselsohr

Seit gut 10 Jahren gibt es die Bücherkinder, junge Leser aus ganz Deutschland, die auf der gleichnamigen Webseite ihre Meinung zu Büchern kundtun. Ich versorge sie mit Lesestoff, veröffentliche ihre Rezensionen online und wir tauschen uns regelmäßig per Email und Facebook aus. Auch viele deutschsprachige Kinder- und Jugendbuchverlage setzen zur ersten Meinungsbildung vermehrt auf junge Testleser. Die Ausprägung und Auswirkung ihrer Mitarbeit fällt dabei ganz unterschiedlich aus und reicht vom Manuskript-Lesen bis hin zur Rezension des fertigen Buches und deren anschließender Veröffentlichung auf der Verlagswebseite.

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Redaktionssitzung: Die Hanser Testleser zusammen mit Verleger Ulrich Störiko-Blume (hinten Mitte)

Die jüngste Gruppierung der Meinungsmacher sind die Bastei Lübbe Kinderreporter, die es erst seit 2011 gibt. Im Unterschied zu allen anderen Verlagen lesen die Kinder und Jugendlichen im Alter zwischen 5 und 16 Jahren ausschließlich Bücher des Verlags, die bereits im Handel erhältlich sind. „Als das Projekt geplant wurde, wollte man ursprünglich 20 Kinderreporter beschäftigen, inzwischen sind es aber ca. 40 Kinder (mehr oder weniger aktiv). Das spricht für das große Interesse der Kinder, gerne eine eigene Meinung zu einem Buch zu veröffentlichen“, teilt Isabel Lottig, Pressereferentin Kinder- und Jugendbuch, mit, die gemeinsam mit einer Volontärin die jungen Testleser betreut. Die gesammelten Rezensionen der Kinderreporter nebst Foto und kurzer Vorstellung findet man unter www.luebbe.de/Kinderreporter. Dort kann man sich auch bewerben.

Auch der Leseclub des Münchener cbj Verlags, den es bereits seit 10 Jahren gibt, erfreut sich großer Beliebtheit. Zurzeit zählt der Leseclub 37 Mitglieder zwischen 9 und 17 Jahren und nach einem expliziten Ruf nach mehr männlichen Testlesern sind derzeit die Jungs sogar in der Überzahl. Die Kinder und Jugendlichen werden ebenfalls von der Pressestelle des Verlags betreut und erhalten neben fertigen Büchern auch bereits Fahnen und Leseexemplare zum Testen. Dabei sind laut Sebastian Menacher, Junior Pressereferent, zwei Dinge für den Verlag besonders wichtig: „Wir bekommen durch den Leseclub eine authentische und ehrliche Rückmeldung zu unseren Büchern. Da der Leseclub eigentlich ein Fahnen-Leseclub ist, Bücher also in einem sehr frühen Stadium der Entstehung gelesen werden, erfahren wir noch vor ET die Meinung unserer Tester. Wir können direkt erkennen, welche Inhalte und Cover beim wem gut oder schlecht ankommen. Darüber hinaus nutzen wir die Rezensionen der Jugendlichen für unsere Pressearbeit. So finden sich beispielweise auf unserer Homepage Zitate der Clubmitglieder.“

Da die Testleser des Hanser Verlags ausschließlich aus München und Umgebung kommen, gibt es regelmäßige Treffen im Verlagsgebäude, bei denen die Kinder und Jugendlichen ihre Meinung zu noch nicht erschienenen Büchern abgeben. „Das Ziel ist es nicht, Besprechungen zu bekommen, sondern ein Feedback zum Buchprojekt“, so Andrea Wolf aus der Presseabteilung. Zweimal im Jahr leitet Verlagsleiter Ulrich Störiko-Blume diese Redaktionssitzungen, an denen neben dem betreuenden Lektorat auch Kollegen der Presse teilnehmen, um sich das Urteil der Kinder anzuhören. Dass die Meinung der jungen Testleser sehr ernst genommen wird, zeigt der Umstand, dass nach den Treffen sogar schon Titel geändert oder Cover angepasst wurden.

In einigen Verlagen (u.a. dtv junior, Fischer, Loewe, Carlsen, Kosmos, Beltz & Gelberg) werden die Testleser, die oftmals auch aus dem unmittelbaren familiären Umfeld des Verlags kommen, vom Lektorat betreut. Bei dtv junior lesen z. B. seit mehr als 10 Jahren etwa dreißig 8- bis 17-Jährige, wobei Mädchen zwischen 12 und 16 Jahren die Mehrheit stellen. „Oft gibt es Korrelationen zwischen der Begeisterungen der Testleser und den Verkaufszahlen später“, verrät Anke Thiemann von dtv junior. Fischer hat seit eigenen Aussagen „schon immer“ vom Lektorat betreute jugendliche Testleser. Neben Kindern von Kollegen werden auch Schulklassen der Umgebung oder die Jugendjury der Bibliothek mit dem Testlesen betraut. Manche Leserstimme schafft es dann sogar in die nächste Vorschau. Seit 2006 hat auch Loewe Testleser. Zurzeit kann der Verlag auf einen festen Stamm von ca. 35 Testlesern zurückgreifen, ziemlich genau die Hälfte davon Jungs, die andere Mädchen. Dass auch Kollege Zufall beim Finden von geeigneten Testlesern helfen kann, zeigt das Beispiel von Susanne Schürmann, die im Lektorat des Carlsen Verlags arbeitet. Als sie im Zug auf einen begeisterten Harry-Potter-Leser traf, der alle Bände verschlungen hatte und sich mit ihr über das Buch lebhaft austauschte, engagierte sie den Jungen vom Fleck weg. Fünf Jahre las er für Carlsen, bevor er „zu alt“ wurde.

„Mit Testlesern können wir Texte schon im Manuskriptstadium testen und dann noch Einfluss auf den Text nehmen oder wir können auch englische Lizenzangebote lesen lassen. Daneben kann man schon sehr früh die Meinung zu einem Cover einholen. Das sind alles sehr spannende und gewinnbringende Aspekte für unsere Arbeit“, sagt Birgitta Barlet, Programmleiterin Kosmos Verlag. Die Zitate der Testleser werden anschließend auch gerne in Konferenzen und Vorschauen verwendet.

Eine überschaubare Anzahl von derzeit sieben Testlesern im Alter zwischen 12 und 15 Jahren „beschäftigt“ das Lektorat von Beltz & Gelberg. Die Meinungen der Testleser sind dort ausschließlich für interne Zwecke bestimmt. Dazu erklärt Christian Walther, Lektorat des Taschenbuchprogramms Gulliver: „Es geht darum, ein erstes, unvoreingenommenes Feedback direkt aus der Zielgruppe zu bekommen, das aufzeigt bzw. mit entscheiden hilft, ob die geplante Ausrichtung eines Textes/eines Covers bei den Jugendlichen tatsächlich ‚ankommt’.“ Hilfreich sind dabei sogenannte kurze Checklisten, die von den Testlesern ausgefüllt werden und die wichtigsten Fragen zum Manuskript oder Roman abdecken.

Und dass selbst die Kleinsten einen hilfreichen Beitrag für die Verlage leisten können, zeigen die Verlage Klett Kinderbuch und die Ueberreuter, der im Aufbau Haus in Berlin beheimatet ist. Im selben Gebäude ist nämlich der Kindergarten Wildfang untergebracht. „Hin und wieder bitten wir die junge Zielgruppe zu uns in die „ueberboks“ (ein kleiner Veranstaltungsraum), um zu hören, wie bestimmte Themen und Bilder ankommen. Im Gegenzug laden wir die kritischen ZuhörerInnen dann auch schon mal zu einer Speziallesung mit unseren BilderbuchautorInnen ein – zuletzt hat Katharina Grossmann-Hensel mit ihrem Bilderbuch ‚Warum Erwachsene nachts so lange aufbleiben müssen’ begeistert“, berichtet Gunde Dorner, Presseleitung bei Ueberreuter. Die „kleinen Testleser“ bei Klett Kinderbuch, „das sind zum einen persönliche Kontakte der Verlagsmitarbeiter, zum anderen auch Kindergärten und -gruppen, die wir aus Wettbewerben oder Lesungen kennen. Die „Arbeit“ dieser Testleser ist für uns sehr wichtig und unersetzlich!“, so Franziska Hauffe vom Verlag.

Egal ob Bücherkinder oder Testleser in den Verlagen, die Arbeit mit den jungen Lesern ist mit einem nicht zu unterschätzenden Aufwand versehen. Doch wer diesen nicht scheut, erhält Rückmeldungen von unschätzbaren Wert. Denn wer sollte besser über Kinder- und Jugendbücher urteilen als die Zielgruppe selbst.

Wer den in Teilen recht beachtlichen Aufwand nicht scheut, den die Zusammenarbeit mit jungen Lesern mit sich bringt, erhält Rückmeldungen von unschätzbaren Wert. Denn wer sollte besser über Kinder- und Jugendbücher urteilen als die Zielgruppe selbst. Da verwundert es wenig, dass immer mehr Verlage die Expertise von „Bücherkindern“ einholen. Und auch im Netz nimmt die Zahl der Webseiten mit eigenen Kinder- und Jugendredaktionen zu – das „Prinzip Bücherkinder“ erfreut sich zunehmender Beliebtheit. Mit Recht.

Und hier der Beitrag in der Druckansicht:

eselsohr

2 Kommentare

  1. Hallo!
    Unser Sohn Benjamin ist neun Jahre alt und ein besonderes Kind: Er hat eine autistische Behinderung. Seit er vier Jahre alt ist kann er lesen und tut das – wenn man ihn nicht unterbricht, den ganzen Tag lang. Er liebt Bücher und liest alles, was ihm unter die Finger kommt. Sehr gerne würde er zu einer Testlergruppe gehören.
    Danke für Kontaktaufnahm,
    sagt Stefanie Heuft, Mama.

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