Gedanken, Mein Alltag und ich
Kommentare 8

Schuss vor den Bug oder Frau Leo braucht ‘ne Pause

Jeder von uns hat in seinem Leben schon einmal einen Schuss vor den Bug verpasst bekommen. Ob es nun die Sechs im Vokabeltest war, die einen rechtzeitg vor der Klassenarbeit warnte, sich schleunigst auf den Hosenboden zu setzen oder die schlimme Bronchitis, mit deren Hilfe man dann doch endlich das Rauchen aufgab.

Als Nichtraucherin blieb mir Letzteres erspart, den schulischen Schuss vor den Bug bekam ich allerdings in der 6. Klasse in Mathe, als sich mir das Bruchrechnen so gar nicht erschloss und ich meine erste und einzige Sechs meiner Schullaufbahn schrieb. Schlecht war der Schuss vor den Bug damals nicht, denn schließlich belegte ich sogar recht erfolgreich den Leistungskurs Mathematik.

Seit der Sechs in Mathe sind viele Jahre vergangen. Ich beendete meine Ausbildung, heiratete, bekam drei Söhne und lebte mein wunderbares Leben. Die Schüsse vor den Bug ereilten immer die anderen und meist Älteren, ich war schließlich noch weit entfernt von der Vierzig. Im März 2007 – die Kinder waren gerade mal 4, 6 und 8 – sollte sich dieser Umstand leider massiv ändern.

VEP_Schachbrett

Das wechselnde Muster des Schachbretts wird beim VEP genutzt, um die Leitfähigkeit des Sehnervs zu überprüfen.

Nach einem Wochenende mit merkwürdigen Kopfschmerzen hinter dem rechten Auge veränderte sich plötzlich meine Sehfähigkeit. Durch meine starke Kurzsichtigkeit dachte ich zunächst an eine beginnende Netzhautablösung und suchte meine Augenärztin auf. Diese konnte jedoch nichts finden und überwies mich weiter zum Neurologen. Dort stellte sich dann heraus, dass mein Sehnerv entzündet war, eine Diagnose, die mich zunächst nicht wirklich schockierte bis der Arzt plötzlich einen Einweisungsschein für das Krankenhaus zückte, weil die sogenannte Retrobulbärneuritis dort mit hochdosiertem Cortison behandelt werden sollte.

Dass die Sehnerventzündung zugleich auch ein möglicher erster Schub der Multiple Sklerose sein könnte, erfuhr ich schließlich im Krankenhaus, in das ich bislang nur zum Kinderkriegen gegangen war. Es folgte eine bange Woche, in der ich nicht nur mit Cortison vollgepumpt sondern in diverse Röhren gesteckt wurde, etliche Tests über mich ergehen ließ und neben Blut gleich auch noch Liquor cerebrospinalis – umgangsprachlich auch Nervenwasser genannt – abgezapft bekam. Zu meinem Glück konnten alle pathologischen Befunde den Verdacht einer MS nicht erhärten, aber in den Augen der Medizin war ich von nun an äußerst verdächtig. Ich war also irgendwie gesund auf Bewährung.

Seit diesem Ereignis hat sich manches in meinem Leben geändert, vieles aber auch nicht. Zu allererst: Ich genieße mein Leben, schließlich bin ich – ganz objektiv betrachtet – nicht krank und versuche diesen Zustand auch zu halten. Ich habe gelernt, NEIN zu sagen, wenn z. B. wieder einmal ehrenamtliche Tätigkeiten an mich herangetragen werden. Ich versuche, anständig mit meinen Ressourcen umzugehen. Ich mache Dinge, die mir Spaß machen, versuche den mir oft selbst auferlegten Stress zu vermeiden. Ich gehe ins Bett wenn ich müde bin und schlafe ausreichend, jedenfalls meistens. Ich lege Pausen ein, wenn ich sie brauche. Zusätzlich werde ich einmal pro Jahr gründlich vom Neurologen untersucht. Neben dem VEP (s.o.)  wird jedesmal auch ein MRT meines Kopfes erstellt. Bislang gab es nur eine weitere entzündliche Veränderung, die aber glücklichweise weder meinen Sehnerv betraf noch sich auf meine Motorik auswirkte und somit auch weiterhin unbehandelt bleibt.

Der Schuss vor meinen Bug hat mich gelehrt, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. Er lässt mich mein Leben noch intensiver auskosten als ich es eh schon immer getan habe. Ich habe Glück gehabt und bin – bildlich gesprochen – nicht gesunken. Wenn ich also mal ‘ne Pause brauche oder von einem Event früher als andere aufbreche, dann hat das einen ganz einfachen Grund: Ich will auch zukünftig jeden Tag in vollen Zügen genießen und dafür lohnt es sich, hin und wieder ein Päuschen einzulegen und inne zu halten. Probiert es doch einfach mal aus!

8 Kommentare

  1. Maren sagt

    Liebe Steffi, ich beneide Dich!!! Du lernst was aus Deinen Schüssen – ich irgendwie noch nicht. Die MS-Geschichte habe ich im Herbst hinter mich gebracht, als meine linke Körperseite über Wochen erst schmerzhaft überempfindlich und schließlich taub geworden ist. (Der Neurologe hat das aber schnell wieder ausgeschlossen), und vorher bin ich zweimal fast hops gegangen. Einmal nach partiellem Plazenta-Abriss kurz vor Geburt von K3, einmal mit Mediastinitis (googeln und gruseln …). Und ich rödel nach wir vor durch’s Leben und mache lauter Sachen, die ich eigentlich nicht brauche. Oder irgendwie doch? Das auseinanderzuhalten habe ich leider noch nicht gelernt. Vielleicht denke ich nach Deinem Blogeintrag mal intensiver drüber nach … Alles Liebe, Maren

    • Stefanie Leo sagt

      Liebe Maren, ich rödel ja genauso durch’s Leben und brauche das auch. Gelegentlich wird mir sogar unterstellt, mein Tag habe 36 Stunden.
      In meiner Kindheit hatte mein Vater folgenden Spruch an der Bürotür hängen: “Herr, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.” Dieser Spruch hat mich schon früh geprägt. Und vergiss als Mutter und Ehefrau nie, auch egoistisch zu sein. Nimm dir einfach Zeit für dich, versuche zu entschleunigen. Erstaunlich, wie viel mal dann trotzdem schafft.
      Alles Liebe für dich von Steffi

  2. Manchmal, oder meistens, ist es der Schuss vor den Bug, der einen innehalten lässt und sich bewusst werden lässt, dass man eine Pause braucht. Wenn ich das hier lese, bin ich froh, dass du “gesund auf Bewährung” bist und – toi toi toi – es nichts Ernstes ist. Pass auf dich auf, kleine sympathisch-quirlige Steffi, die ich auf der Messe in Leipzig das erste Mal live kennen lernen konnte ♥

    Und ja, du hast recht. Pausen brauchen wir alle, und wir sollten sie uns auch gönnen. Denn wir haben nur dieses eine Leben…

    Alles Liebe für dich
    Sandra

    • Stefanie Leo sagt

      Hihi, das hast du aber schön gesagt! Du meinst also D12 reicht vollkommen?! 😉

  3. Liebe Stefanie,

    Ich lobe es mir, dass du auf deine Gesundheit achtest – die kann dir niemand zurückgeben, wenn sie erst einmal weg ist. Sie wird übrigens meiner Meinung nach viel zu häufig in der heutigen Zeit vernachlässigt. Umso schöner finde ich es, dass du als gutes Beispiel offen mit der Thematik umgehst. Das macht dich gleich noch sympathischer!

    Ich wünsche dir, das der Warnschuss nur ein selbiger bleibt und du auch weiterhin das Leben in vollen Zügen genießen kannst!

    Viele Grüße
    Katha

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert