Am 27. Januar 1945 wurde das Konzentrationslager Auschwitz von der Roten Armee befreit. 74 Jahre später sitze ich am Holocaust-Gedenktag, der 2019 auf einen Sonntag fällt, im Kino. Mit der ganzen Familie schauen wir uns “Schindlers Liste” an, der im März 1994 in Deutschland erschien und heute – 25 Jahre später – erneut gezeigt wird.
Ich, Jahrgang 1970, bin was das Dritte Reich und den Holocaust angeht nicht uninformiert. Im Unterricht war das Thema allgegenwärtig, als Schülerin des Geschwister-Scholl-Gymnasiums sowieso. Ich habe zahlreiche Bücher zum Thema gelesen, Zeitzeugen im Fernsehen sprechen gehört, Schwarzweißfotos betrachtet. Und obwohl ich der Meinung bin, dass kein Film jemals den Anspruch erfüllen könnte, den Holocaust in all seinen grausamen Facetten zu zeigen, so traf mich “Schindlers Liste” dennoch mit voller Wucht.
Vor allem die Darstellung der Personen und die Details des in schwarzweiß gedrehten Films überzeugten. Einmal mehr wurde mir bewusst, dass die Vernichtung der Juden ohne die deutsche Gründlichkeit in diesem Ausmaß nicht möglich gewesen wäre. Ebenso bedrückend war die Erkenntnis, was Sprache mit Menschen macht. Da wurde den Juden einfach das Menschsein abgesprochen, und wer nicht Mensch ist, dem muss man auch keine Menschlichkeit entgegenbringen. Übrigens eine Verrohung der Sprache, die auch heute wieder zu finden ist.
Was hat das mit mir zu tun?
Eine berechtigte Frage. Mich trifft ja keine Schuld, meine Kinder erst recht nicht. Selbst meine Eltern (Jahrgang *38 und *39) haben sich als kleine Kinder im Krieg nichts zu Schulden kommen lassen. Zeit also, endlich einen Schlussstrich zu ziehen? – Nein!
Das Erinnern an die grausamen Verbrechen der Nazis, aber auch an das stille Mitlaufen fast aller Deutschen damals, darf nicht aufhören, denn es erinnert uns – die Nachkommen – an unsere Verantwortung. Wir alle tragen dieses Wissen, was Menschen anderen antun können, in uns, und keiner kann sich in der heutigen Informationsgesellschaft mit einem “Davon habe ich nichts gewusst.” aus der Verantwortung stehlen.
So hat der Holocaust auch 74 Jahre später eben doch mit mir, mit uns zu tun. Wir sind gefragt, unseren Einsatz für die Demokratie zu bringen, uns für Menschlichkeit einzusetzen, vor Ort oder eben auch mit einem Kreuz an der richtigen Stelle bei der nächsten Wahl.
Das Beitragsfoto ist ein Screenshot von einer der 2.756 Seiten der “IRemember Wall”, die auf der Webpräsenz von Yad Vashem zu finden ist.
Sehr lesenswert auch Götz Alys Rede zum 74. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz