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Dear Oxbridge

Dear Nele, liebe Nele,

deinen Liebesbrief an England habe ich gestern beendet und überlege seitdem, wie ich meiner großen Begeisterung für dein Buch Ausdruck verleihen soll. Da kam mir die Idee, dies in Briefform zu tun. In diesem Brief werde ich dich duzen, schon alleine deswegen, weil im Englischen zwischen „Sie“ und „du“ bekanntlich nicht unterschieden wird und genau das, wie du in deinem Buch erwähnst, Nähe schafft.

Vielleicht interessiert es dich ja, wie es überhaupt dazu kam, dass ich nach deinem Werk griff. Tatsächlich bist du mir mit deinem klugen und kurzweiligen Artikel in der ZEIT aufgefallen, der kurz vor dem nun wirklich stattfindenden Brexit erschien. Seit die Briten sich im Juni 2016 gegen den Verbleib in der EU entschieden, war dein Text „Die widerspenstige Insel“ der erste, bei dem ich das Gefühl hatte, zu verstehen, warum die Engländer uns verlassen, obwohl sie doch eigentlich nur der eigenen Elite einen Denkzettel verpassen wollen. Da war also endlich mal jemand, der mir die ganze Sache verständlich erklärte, jemand, der nicht klug mit reichlich Quellenangaben (kleiner Insider 😉 ) aus der Ferne auf die Insel schaut und im Zweifel höchstens ein verlängertes Wochenende in London auf der England-Haben-Seite verbuchen kann. Nein, du hast in Cambridge und Oxford studiert, dort gelebt, dich mit zugigen Zimmern, verstopften Klos und einem eigentümlichen Gesundheitssystem arrangiert und am Ende eben auch das eigentliche Oxbridge in all seinen Facetten kennengelernt. Der Artikel brachte mich also auf den Geschmack. Jetzt musste das Buch her!

„Dear Oxbridge“ ist in vielerlei Hinsicht ein großer Schatz, mein Exemplar mittlerweile mit vielen Klebezetteln bestückt. Besonders gefallen hat mir, dass du klare Worte für Missstände findest, gleichzeitig aber auch die Hintergründe beleuchtest und nicht verurteilst. Diesen differenzierten Blick mag ich wirklich sehr, auch mir ist Schwarz-Weiß-Denken zuwider. Kein Wunder also, dass der Untertitel deines Buches „Liebesbrief an England“ am Ende auch Programm ist, denn bei aller Kritik blickst du aus Deutschland liebevoll auf dein England zurück. Wie so oft weiß man eben erst, was einen Ort ausmacht, wenn man ihn verlassen hat.

Übrigens teile ich deine Erfahrung, was Bahnfahren in England anbelangt. Auch ich strandete auf meinem Weg in die Yorkshire Dales am Bahnhof in Manchester und ärgerte mich – so schön deutsch wie ich bin – zunächst darüber, dass sich niemand ärgerte. Dein Kapitel „Stiff upper lip: Britische Beschwerden“ ließ mich aufhorchen, vor allem über die Argumentation deines Professors musste ich nachdenken. Gerne würde ich ein wenig deutschte Wut und Empörung gegen etwas britischen Stoizismus tauschen. Es täte vermutlich beiden Ländern gut.

Meine liebsten Kapitel, oder sollte ich vielmehr Essays sagen, sind übrigens „They: Gendern auf Englisch“ und „On Kindness: Das eigentliche Oxbridge“. Ersteres möchte ich gerne auswendig zitieren können oder mir abtippen und rahmen, letzteres lässt mich dein Buch mit einem warmen Gefühl im Bauch zuklappen. Ja, England ist ein Land voller Widersprüche und mancher Abgründe, aber eben auch ein Land mit dem wundervollen Wort kindness, die du dort erfahren durftest und mit Großzügigkeit übersetzt und als das Gegenteil von Dienst nach Vorschrift beschreibst. Ja, „In a world where you can be anything, be kind.“ – ich werde es versuchen.

Danke, liebe Nele, für dein Buch, und vielleicht magst du mir ja in weiteren klugen und pointierten Büchern mit deiner richtigen Portion an Witz die Welt erklären. Ich würde sie jedenfalls schon heute vorbestellen.

Herzlich
Steffi


Dear Oxbridge von Nele Pollatschek, Galiani Berlin 2020 – 240 Seiten, 16 €
Online-Bestellmöglichkeit bei der Buchhandlung meines Vertrauens

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