Nach dem Lesen des Klappentextes erwartete ich eine durchaus komplizierte Familiengeschichte, die sich im Verlauf des Buches sicherlich zum Positiven hin wenden würde. Weit gefehlt. Als ich das Buch beendete und schloss, wanderte mein Blick erneut auf den Klappentext und mir wurde klar, dass man beim Versuch, in nur wenigen Sätzen den Inhalt dieses Buches, die Besonderheit seiner Geschichte zu beschreiben, nur scheitern konnte.
Je tiefer das Wasser von Katya Apekina,
übersetzt von Brigitte Jakobeit, Suhrkamp Verlag
Edie und Mae sind Schwestern. Die Mutter der beiden hat versucht sich umzubringen, und nun werden sie weggeschafft, aus ihrem Heimatkaff in Louisiana nach New York, aus der Obhut einer labilen Fantastin zum weltberühmten Schriftstellervater, der die Familie vor Jahren verließ. Für Edie bedeutet die neue Umgebung einen unverzeihlichen Verrat, für Mae die langersehnte Möglichkeit der Befreiung. Schnell kommt es zum Bruch. Während die eine einen verzweifelten Rettungsversuch unternimmt, lässt sich die andere ein auf die Zuneigung des Vaters und die Bitte, ihm beim Schreiben seines neuen Romans über die Mutter zu helfen. Alle sind sie getrieben von einer Obsession: Verstehen, was zwischen ihnen, was tief in ihnen vor sich geht.
Ein Versuch
Katya Apekinas Debüt ist ein geschickt aufgebauter Roman, in dem neben den Haupterzählerinnen, den Schwestern Edith und Mae, multiple Ich-Erzähler zu Wort kommen. Diese werfen nicht nur aus ganz unterschiedlichen Perspektiven, sondern auch zu unterschiedlichsten Zeiten einen Blick aufs Geschehen. So erzählt Edith die Geschichte im Präsens, beginnend mit dem Zeitpunkt als sie und die jüngere Schwester Mae nach dem Suizidversuch der Mutter beim berühmten Vater in New York einziehen. Mae hingegen berichtet in der Vergangenheitsform. Zwar setzt ihre Erzählung etwa zeitgleich mit Ediths ein, doch schnell wird klar, dass sie mit dem Wissen um zukünftige Ereignisse eher rückblickend über das Geschehen spricht.
Was fehlt
Im Original lautet der Titel des Buches „The Deeper the Water the Uglier the Fish“. Dass dieser zweite Teil, der die Komparative zueinander in Beziehung setzt, in der deutschen Übersetzung fehlt, störte mich zunächst. Doch je tiefer ich in die Geschichte einstieg, umso passender fand ich den Titel. Denn diese Auslassung ist bezeichnend für die Hauptcharaktere der Geschichte. Sie alle sind nicht vollständig, sind Suchende und bedienen sich rücksichtslos und zerstörend an den Menschen, die ihnen am nächsten sind. Je tiefer man in die Seelen der Erzählenden blickt, umso hässlicher wird das, was man zu sehen bekommt.
Hier möchte ich auch noch kurz die Arbeit der Übersetzerin Brigitte Jakobeit loben, denn zu keinem Zeitpunkt hatte ich das Gefühl, eine Übersetzung in den Händen zu halten. Bei derart vielen Erzählern und den unterschiedlichen Zeiten und Stilen ihrer Darstellung sicherlich eine Kunst.
Je tiefer das Wasser von Katya Apekina, übersetzt von Brigitte Jakobeit,
Suhrkamp Verlag 2020 – 396 Seiten, 24 €
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